Fakt und Fiktion: Babagge-Einheiten

Hinterlasse einen Kommentar

31. Juli 2017 von wortschmied

Wenn man viktorianische Science-Fiction schreibt – und das ist immer noch eine der besten Definitionen für Steampunk meiner Meinung nach – dann steht man schnell vor dem Problem, dass komplexe Maschinen auch komplexe Steuereinheiten benötigen. Und komplexe Maschinen, vorzugsweise von einem verrückten Wissenschaftler gebaut, sind im Steampunk nun einmal eine der Hauptattraktionen.

Die Automaten von Jaquet Droz

Die Automaten von Jaquet Droz (Photograph by Rama, Wikimedia Commons, Cc-by-sa-2.0-fr)

Zwar gab es schon früher als man annehmen würde, Automaten mit einer Art programmierbaren Steuerung. Die drei berühmten Automaten des Uhrmachers Pierre Jaquet-Drodz (der Schreiber, der Zeichner und die Organistin) wurden alle über auswechselbare Nockenscheiben gesteuert und waren so in der Lage, unterschiedliche Schriftstücke zu schreiben, Zeichnungen zu zeichnen und Musikstücke zu spielen. Und das bereits 1774.

Problematisch wird es, sobald man in seinen Geschichten Maschinen vorkommen läßt, die selbstständig auf äußere Einflüsse reagieren. Wie erkläre ich die Funktionsweise eines mechanischen Bediensteten, wenn es keine Computer gibt? Nun ist es zwar eine der Genreregeln der Science-Fiction im Allgemeinen, dass man als Autor irgendwann auf Technologien zurückgreifen muss, die es auch heute noch nicht gibt. Aber selbst dann sollte man sich meiner Meinung nach bemühen, diese so weit wie irgend möglich für den Leser nachvollziehbar zu machen.

Ich habe nichts gegen ein dampfbetriebenes Äthernetz als Äquivalent zu unserem heutigen Internet, wie ich es schon gelegentlich gelesen habe. Aber ich ziehe es vor, wenn mir der Autor zumindest ansatzweise erklärt, wie das funktioniert. Wie werden die Daten übermittelt? Wie funktionieren die „Bildschirme“ die die Daten anzeigen? Zum Beispiel will ich gerne lesen, dass die Daten über mit Äther gefüllte Rohre per Lichtimpulsen übermittelt werden, die die molekulare Zusammensetzung des Äthers verändern. Oder das die Bildschirme aus kleinen, wie Dachschindel schräg übereinander angeordneten weißen Metallplättchen bestehen, die von einer Mechanik einzeln hochgezogen werden können und so den dahinterliegende schwarzen Hintergrund sichtbar machen. Das wäre technisch durchaus vorstellbar und würde einen Zweifarben-Monitor ermöglichen. Der hätte zwar eine sehr grobe Auflösung von vielleicht 24 Zeilen in 40 Reihen aber man könnte damit Texte darstellen und auch (sehr) grob aufgelöste Bilder.
Und ja ich weiß, man soll das nicht übertreiben, sonst geht die Geschichte unter vor lauter Technik. Aber auf der anderen Seite, wenn ich in einer historischen Geschichte moderne Technik verwende, ohne sie auch nur ansatzweise mit den Mitteln der Zeit zu erklären, wirkt das wie ein Stilbruch. Finde ich zumindest. Und es reichen meist ja schon ein, zwei Sätze um das Flair nicht nur zu erhalten sondern oft noch zu verstärken.

Aber ich schweife ab. Den eigentlich geht es um die in Professor Koslows Äthermaschine erwähnten Babagge-Einheiten. In meiner Geschichte kommen zwar keine mechanischen Diener vor, aber Exoskelette, die selbstständig auf die Bewegungen des Trägers reagieren. Ergo irgendeine Form der Steuerung benötigen, um die jeweils richtigen Druckkolben anzusprechen. Und wenn man Steampunk schreibt, gibt es da eigentlich nur eine Lösung für solche Steuereinheiten: Charles Babagge und seine „Analytical Engine“. Zwar hat er sie selber nicht mehr gebaut, aber die Pläne aus dem Jahr 1837 gelten als funktionsfähig. Sie gilt als der erste, noch rein mechanische Computer. Man sollte sie über Lochkarten programmieren können (ja, die gab es damals schon, zur Steuerung vom Webmaschinen) und die Ausgabe sollte ebenfalls über von der Maschine gestanzte Lochkarten und sogar einen Drucker erfolgen. Laut den Plänen hatte sie auch einen Speicher für 1000 Binärwörter mit 30 Dezimalstellen.

Modell von Babbages

Modell von Babbages „Analytical Engine“ (By Science Museum London / Science and Society Picture Library [CC BY-SA 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)%5D, via Wikimedia Commons)

Die Pläne faszinierten auch den italienischen Mathematiker Federico Luigi Menabrea, der Babagge auf einer Reise getroffen hatte und daraufhin auf französisch eine Abhandlung über die Maschine verfasste. (Nein, ich weiß auch nicht warum er das als Italiener auf Französisch getan hat.) Diese wiederum wurde von Ada Lovelace ins Englische übersetzt und zwar mir so vielen Anmerkungen, dass die Übersetzung dreimal so lange wurde. Außerdem fügte sie einen Plan zur Berechnung von Bernoulli-Zahlen mit der Maschine bei, was sie zur ersten Programmiererin der Geschichte macht. Nebenbei bemerkt war sie die Tochter von dem Lord Byron. Und ebenfalls nebenbei bemerkt, ja Ada von Rony verdankt ihr ihren Vornamen.

Kurz: Charles Babagge und seine Maschine ist für den Steampunk das, was der Überlichtgeschwindigkeitsflug für die Science Fiction ist. Nicht umsonst heißt einer der bekanntesten Steampunkromane „The Difference Engine“ (von William Gibson und Bruce Sterling; 1990), auch wenn es darin eigentlich um die „analytical engine“ geht. Aber der nicht ganz korrekte Titel ist wohl dem implizierten Wortspiel geschuldet, dass die Erfindung der Maschine eben einen großen Unterschied machte in der geschichtlichen Entwicklung wie sie dann im Buch erfolgt.

Und auch wenn ich ziemlich ins Stottern käme, wenn ich jetzt genau erklären müsste, wie miniaturisierte (das Original wäre 19 Meter lang und drei Meter hoch gewesen) Babaggeeinheiten jetzt genau ein Exoskellett steuern könnten, so käme ich genauso ins Schwitzen, wenn ich jemandem im Detail erklären müsste, wie denn nun Überlichtgeschwindigkeitsflug per Wurmloch (oder sonstwie) möglich sein soll. Aber das macht Science Fiction und Steampunk eben auch aus: dass man Dinge erdenkt, die (noch) nicht möglich sind, aber es theoretisch sein könnten.

So, das war jetzt ein ziemlich langer Eintrag und mit relativ hohem Nerdfaktor. Andererseits hat hier auf der Seite letzthin sowieso zu viel Ruhe geherrscht, also sollte das hoffentlich in Ordnung sein.

Wikipedialinks

Pierre Jaquet-Drodz: https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Jaquet-Droz
Charles Babagge: https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Babbage
Analytical Engine: https://de.wikipedia.org/wiki/Analytical_Engine
Ada Lovelace: https://de.wikipedia.org/wiki/Ada_Lovelace
Die Differenzmaschine (Buch): https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Differenzmaschine

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Lesestoff

Professor Koslows Äthermaschine (Cover)
Cover von Piraten und Wanzen